3. Die Grundlagen der Akupunktur
3.1 Yin und Yang
Eine grundlegende Vorstellung in der chinesischen Philosophie ist die Einteilung aller Dinge oder Phänomene in zwei gegensätzliche, aber sich ergänzende Seiten Yin und Yang. Etwa seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurden Yin und Yang einerseits als "Kräfte" oder "Energien" aufgefasst, andererseits aber auch als materielle Gegenstände der wirklichen Welt. So steht Yin z. B. für Erde, Nacht, Winter, Passivität, Frau, Unten, Kalt, Feucht und Abwärts, dagegen Yang für Himmel, Tag, Sommer, Aktivität, Mann, Oben, Heiß, Trocken und Aufwärts. Ein Yin ist ohne ein Yang nicht denkbar, so wie der Tag ohne die Nacht seine Bedeutung verlieren würde. Die Begriffe Yin und Yang beschreiben den Verlauf natürlicher Veränderung, so folgt dem Yin – Einatmen stets ein Yang – Ausatmen. Sie befinden sich nie in Ruhe, ständig verändern und ergänzen sie einander, so wie die Prozesse in unserem Körper auch nie still stehen. Alle Erscheinungen besitzen einen Yin- und einen Yang – Aspekt. Die wellenförmige Kurve im Symbol zeigt, dass Yin und Yang sich ununterbrochen von einem zum anderen wandeln. Der Punkt in jeder Hälfte versinnbildlicht, dass jede Seite immer auch einen Kern der anderen besitzt.
Erkrankungen werden ebenso in Yin- und Yang-Krankheiten eingeteilt, da beim Kranken die eine oder andere Seite dominiert. Ein starkes Yang entspricht dem Energieüberfluss, starkes Yin einem Energiemangel. Dagegen ist beim gesunden Menschen das Verhältnis relativ ausgeglichen. Im chinesischen Glauben wird die Akupunktur als Yang betrachtet, weil sie von außen nach innen wirkt, während die Kräutermedizin als Yin gilt, da sie von innen nach außen arbeitet. Die Kräuterheilkunde kann eine Akupunktur unterstützen, aber auch unabhängig davon angewandt werden. So basiert die gesamte chinesische Medizin auf Yin und Yang.
Sie sind als polare Gegensätze voneinander abhängig. Qi ist jene Energie, die Yin und Yang aneinander bindet. Das Qi (im Japanischen Ki) gilt als einzigartige Energie, die unseren Körper befähigt zu funktionieren. Deswegen wird sie oft auch als "Lebensenergie" bezeichnet. Es hat die Aufgabe den Körper zu wärmen und die Umwandlung von Nahrung in Körperflüssigkeiten zu gewährleisten.
Die Akupunktur soll durch Manipulation des Qi auf den Körper so wirken, dass Yin und Yang und damit die gesamte Person ins Gleichgewicht gelangt. Wo es jedoch blockiert, ist der Nährboden für Krankheiten geschaffen. Der fernöstliche Mediziner wird eine Schwäche im Energiefluss lokalisieren und versuchen durch die genau abgestimmte Behandlung das Yin und Yang in eine harmonische Balance zu bringen. Das Energiezentrum des Körpers ist Hara, der Bauch. Kampfsportler lernen von dieser Mitte aus zu arbeiten. Buddhas werden deswegen nämlich mit großen Bäuchen dargestellt, um zu zeigen, wie stark ihr Kern ist.
3.2 Das Meridiansystem
Der menschliche Organismus ist in verschiedene Körpersysteme eingeteilt. Neben dem Verdauungssystem, Nervensystem oder Immunsystem, gibt es in der chinesischen Medizin noch das Meridiansystem. Meridiane sind unsichtbare Kanäle oder Leitbahnen, über welche das Qi die Organe und Körperteile durchfließt. Es soll uns dadurch gesund und lebendig halten und unsere Aktivität regulieren. Die Bezeichnung Meridian hat sich entwickelt, weil die geflechtartigen Linien ähnlich einem Koordinatennetz sind. Es gibt 12 paarige Hauptmeridiane, die jeweils nach einem ihnen zugeordneten Organ wie Lunge, Niere, Magen, Milz und Herz benannt sind. Jene werden erneut in Yin- und Yang-Meridiane gruppiert. Alle Meridiane, die an den Außen- und Rückseiten des Körpers verlaufen, sind Yang-Meridiane, alle die an der Körperinnen- und Vorderseite verlaufen sind Yin-Meridiane. Zusätzlich gibt es noch sechs kleinere Leitbahnen, die eigentlich nur Verbindungsgefäße sind. "Die Theorie der Meridiane (chinesisch Jing-Luo) gehört zu den wichtigsten Lehren der traditionellen chinesischen Heilkunde. Sie dient zur Erklärung der physiologischen Funktion und der pathologischen Veränderungen im menschlichen Organismus, ferner zum Verständnis der gegenseitigen Beziehungen der inneren Organe untereinander."
Nachdem man weiß, dass über den gesamten Kopf und speziell den Ohren viele wichtige Meridiane entlang fließen, ist es fragwürdig, ob der Energiefluss durch Ohrlöcher unterbrochen bzw. zerstört wird. Außerdem spiegelt das Ohr den gesamten Körper wieder, weswegen man hier häufig durch Abtasten Krankheitspunkte im Körper findet.
"Nei Jing Tu - Die Tafel des Inneren Gewebes", Bildquelle: Hempen; Carl-Herrmann: Taschenatlas Akupunktur, S.18, 2005.
3.3 Die 5 Elemente
Neben der Yin–Yang–Lehre spielen in den Überlieferungen der traditionellen Heilkunst die fünf Elemente oder Bewegungen oder Wandlungsphasen eine große Rolle. Sie entstammen dem Altertum und gehen auf die simple Theorie zurück, dass Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser die Stoffe sind, aus denen die Welt besteht und die der Mensch zum Leben benötigt. Außerdem beobachtete man bestimmte Prozesse, die immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten. Demnach beziehen sich die fünf Elemente auf verschiedene Naturkreisläufe. Analog zur Natur macht der Mensch ebenso unterschiedliche Phasen durch. Die Geburt entspricht als Beispiel dem Element Holz, da es durch Wachsen entsteht und in Gewisserweise noch formbar ist, die Kinder- und Jugendzeit dann dem Feuer, usw.. Bei der Akupunktur kann man sich die fünf Elemente nur zunutze machen, indem man sie in die Yin-Yang–Theorie einarbeitet. Holz und Feuer sind Yang, dagegen Metall und Wasser Yin. Die Mitte bildet die Erde. Weil jedoch diese Theorien heute für den modernen Menschen kaum noch nachvollziehbar sind und eher wie Hokuspokus erscheinen, werden sie an den Universitäten in China auch kaum mehr gelehrt. Einzig und allein in der Kräuterheilkunde gilt noch die richtige Ernährung nach den fünf Elementen.
3.4 Akupunkturpunkte
Die meisten von 361 genau festgelegten Akupunkturpunkten liegen auf den Körpermeridianen. An diesen Stellen gelangt das Qi an die Oberfläche und kann so energetisch beeinflusst werden. Die Anzahl der Punkte auf jedem Meridian ist unterschiedlich. Ein Punkt auf einem bestimmten Meridian kann durch Disharmonie an anderen Punkten beeinflusst werden. So stehen z. B. die Zähne unter dem Einfluss des Dickdarm-Meridians. Damit kann erklärt werden, weshalb zahnende Kinder oft unter Verdauungsstörungen leiden. Durch das Einstechen dünner, sehr elastischer Metallnadeln, die meist aus Gold, Silber oder Edelstahl bestehen, wird der Energiefluss auf diesem Meridian verändert.
Die Punkte werden durch proportionale Messtechniken gefunden.
Genau über der Nasenwurzel befindet sich der interessante Punkt "Yintang", er führt beispielsweise bei Schnupfen innerhalb von wenigen Minuten zur Abschwellung der Nasenschleimhäute. Ist der exakte Akupunkturpunkt getroffen, verspürt man ein leichtes Prickeln oder einen dumpfen Schmerz und die Haut rötet sich ein wenig. Das lässt sich durch die Freisetzung chemischer Stoffe erklären, die einen elektrischen Impuls zum Gehirn aussenden. Daher wird auch eine sofortige Wirkung garantiert. Zugleich erzielt man mit der Akupunktur auch eine Langzeitwirkung, da sich das Gehirn an die Hormonausschüttung, die schmerzlindernd auf den Körper wirkt, "gewöhnt" hat. Ein weiteres Kriterium ist die Einstechtiefe der Nadel. Meistens reicht es die Nadel einige Millimeter in die Haut zu bohren. Die Dauer der Nadelung ist unterschiedlich, sie reicht von 10 Sekunden bis 30 Minuten.
Oft wird auch eine Moxibustion angewendet, bei der zusätzlich Kräuter an bestimmten Akupunkturpunkten abgebrannt werden. Durch diese Erwärmung der Nadel wird das Qi besonders angeregt, deswegen nutzt man diese Methode hauptsächlich bei einem schwachen Qi. Es gibt jedoch auch Punkte mit denen man einen Menschen sofort ins Koma versetzen kann, ihn lähmen oder den Herzstillstand hervorrufen kann. Dann wird an sehr wichtigen Stellen ein Überschuss an Energie zugeführt, den der Körper nicht verarbeiten kann. Ein großer Vorteil der Akupunktur ist dennoch, dass sie völlig frei von Nebenwirkungen und für jedes Alter geeignet ist. Überdies kann man auch Beschwerden wie Stress, Depressionen, Allergien oder Unfruchtbarkeit im Gegensatz zur Schulmedizin erfolgreich bekämpfen.
3.5 Akupressur
Bei der Akupressur werden die Akupunkturpunkte durch Fingerdruck stimuliert, um den reibungslosen Fluss des Qi zu ermöglichen. Der Druck wird meistens mit Daumen und Fingerkuppen ausgeübt. Auch eine Massage um die Punkte herum oder entlang der Meridiane kann sehr wirksam sein. Die Massage zielt darauf hin, dass die Energie entlang des gesamten Meridians zum Fließen kommt. Mit Akupressur kann man die Wirkung der Akupunktur zwischen den Sitzungen noch erhöhen oder sie als einfachere Selbstbehandlung anwenden. Denn häufig gelingt es auch nur durch Akupressur, Spannungskopfschmerzen oder Zahnschmerzen zu lindern. Viele "Hobby-Therapeuten" nutzen die Akupressur zur schnellen Behandlung von leichten Fällen einer Blockade. Bei Kleinkindern wendet man sie als Alternative zur eher schmerzhafteren Akupunktur an. Wichtig ist jedoch, dass die Punkte exakt getroffen werden, so kann man auch hier eine gute Wirksamkeit versichern.